5’
für Chor solo oder mit oder Zuspiel
S, A, T, B, +-Tape
Wenn man die Biographie Max Dathendeys (1867-1918) studiert, so bemerkt man, dass er aus psychologischer Sicht einen lebenslangen Kampf mit den Erwartungen seines Vaters an ihn zu durchleiden hatte. Der Vater, ein sehr erfolgreicher und geschäftstüchtiger Daguerreotypist, hatte seinen Beruf ebenfalls für seinen Sohn auserkoren und somit war eine künstlerische Ausrichtung abseits der damaligen modernen technischen Errungenschaften wie der Fotografie unerwünscht.Max konnte seinen Vater mit seinen als junger Mann geschriebenen Gedichten und Texten nicht überzeugen und erlaubte ihm lediglich das Schreiben fortzuführen, solange er sich der Ausbildung zum Daguerreotypisten unterziehe.
Sein Gedicht „Amselsang“ sprach mich als Komponist aufgrund seiner Lautmalerei und seiner vielen scharfen Konsonanten an. Es wirkt auf mich wie der Zufluchtsort, nach dem sich Dauthendey immer gesehnt hat. Ein Ort, den nur er selbst kennt und an dem er den Leser nur kryptisch teilhaben lässt. Auch der Titel lässt Fragen offen, was der doch sehr europäische Vogel mit „purpurnen Inseln in schlummernden Fernen“ und „goldnen Lianen“ etc. gemein hat. Ich persönlich interpretiere die Amsel als Symbol der Freiheit und der Verkörperung von Unabhängigkeit. Vermutlich sah sich Dauthendey in dem Tier selbst und sein Gesang erzählt von der ihm ersehnten Welt. Um Dauthendey und die Amsel eins werden zu lassen, suchte ich nach Aufnahmen von Amselgesang, transponierte diese um bis zu 3 Oktaven herunter, um sie an den Bereich der menschlichen Stimme anzupassen. Anschließend suchte ich nach Motiven, die sich gut nachsingen und kombinieren ließen. Diese Motive bekamen zusätzlich, je nach Rhythmus Textabschnitte aus Dauthendeys Gedicht zugeteilt, worauf ich eine Palette an kleinen Bausteinen zur Verfügung hatte, mit denen ich 16 Amselstimmen, vier je Stimmgruppe (Sopran, Alt, Tenor, Bass) komponierte, die Teils völlig unabhängig, teils in Gruppen agieren. Diese Stimmen sind, wie auch die originale Amselaufnahme allesamt mp3-Audiodateien, die von den einzelnen Sänger/innen angehört und simultan gesanglich interpretiert werden. Auf diese Weise verschmelzen die Worte Dauthendeys mit von Menschen übersetzten Amsellauten zu einer Klangwelt, die hoffentlich der beeindruckenden Fantasie des Dichters und seiner lebenslangen Freiheitssuche gerecht wird.
10’
für Chor und Zuspiel
S, A, T, B, Tape
Als Komponist begegnet einem häufig die Frage, ob das Konservieren von Ideen, Klängen, das akribische Ausarbeiten von akustischen Abläufen nicht von Grund auf etwas Absurdes ist. Musik ist doch immer erst natürlich und entfaltet seine Wirkung fast ausschließlich, wenn sie durch ein Medium, dem Musiker alias dem Klangkörper interpretiert wird. Warum nicht also gleich improvisieren und Musik im Moment des Erfindens freigeben? Warum das Überdenken jeder einzelnen Phrase, jeder Note und wozu deren Fixierung? Es ist, als ob man sich für etwas aufopfert, was eine dauerhafte Existenzberechtigung erhalten soll. Etwas, das einen selbst überdauert, möglicherweise den irrationalen Anspruch auf Unendlichkeit erhebt, oder etwas, das ganz einfach vor dem Vergessen bewahrt werden will. Ähnlich verhält es sich, wenn Kunst und Vergänglichkeit aufeinander treffen. Der Tod eines Mitmenschen setzt dem gemeinsam Erlebten seinen festgeschriebenen Rahmen; Erinnerungen, Momentaufnahmen, Sprachfetzen werden zu wiederkehrenden Motiven, die insistieren vor dem Vergessen bewahrt zu werden. Als Hinterbliebener findet man sich plötzlich gezwungen über die Wichtigkeit dieser Erlebnisse und auch den Einfluss des Verstorbenen auf sein eigenes Leben zu urteilen. Es ist, als ob man Szene für Szene rekonstruiert, sie aus dem Dunst des Vergangenen schöpft und noch einmal durchlebt. Doch tatsächlich ist alles Schein, denn die Bilder der Vergangenheit sind längst zu dem geworden, was man heute in ihnen sehen will. Der Künstler agiert somit als Regisseur eines Traumtheaters, welches auf wahrer Begebenheit beruht, doch darüber hinaus surreale Züge annimmt. In staging the past werden mehrere Sänger mit MP3-Tracks ausgestattet, die sie simultan starten und versuchen ganz individuell im Raum verteilt wiederzugeben. Ein Vorgang der dem Filtern von Erinnerungen ähnelt – denn die jeweils gehörte Aufnahme bleibt dem Publikum verwehrt und der Sänger wird zum wiedergebenden Medium, welches lediglich seine eigene Interpretation der verdeckten „Wahrheit“ hörbar machen kann. Selbst der Sekundenbruchteil zwischen Hören und Singen der Interpreten lässt sich bereits als eine Wiedergabe des Vergangenen deuten. Die entstehenden Individualgesänge stehen einem vorgefertigten elektronischen Track gegenüber, der über Lautsprecher akustische Rekonstruktionen von Erlebnissen und vermeintlich durchlebten Szenen wiedergibt. Es mischt sich Realität mit Fiktion und Wahrheit mit Wunschbild. Die Vergangenheit zu inszenieren, ist womöglich ein vollkommen künstlicher Akt und gleicht der oben angesprochenen Absurdität des Komponierens, aber er ermöglicht dennoch, dem Leben eines Mitmenschen einen flüchtigen klingenden Moment zu widmen.
I. Augenblick der Müdigkeit
II. Ist Weisheit…?
III. Den Himmel einmal drehen
10’
für Chor
SS, AA, TT, BB
13’
für Solosopran und Streichquintett
S, 2 Vl, Vla, 2 Vc
7’
für Chor
SS, AA, TT, BB
10’
für 6 Stimmen
SS, MSMS, AA oder S, MS, A, Fl, Eh, Kl